Einführung Hamann

810322 Einführung Hamann 810322 Einführung Hamann_0001 810322 Einführung Hamann_0002Weg und Wahrheit/

Kirche in Frankfurt 22.3.81

Veröffentlicht unter Allgemein | Schreib einen Kommentar

Martin Jürges über Bhagwan und Jugendreligionen

1980: Osho war noch Bhagwan und man sprach von „Jugendreligionen“. Der damalige Frankfurter Stadtjugendpfarrer Martin Jürges diskutierte im Hessenfernsehen. Hier einige Ausschnitte aus der Diskussion. Martin Jürges im Hessenfernsehen1980 Diskussion hr

Veröffentlicht unter Bilder/Filme, Links, Texte von Irmtraud und Martin Jürges | Schreib einen Kommentar

Jan

Irmtraud Jürges-Kießling, Kurt-Helmuth Eimuth und Jan Jürges

Irmtraud Jürges-Kießling, Kurt-Helmuth Eimuth und Jan Jürges (Aufnahme privat 1980)

Veröffentlicht unter Bilder/Filme | Schreib einen Kommentar

Martin Jürges 1979

Martin Jürges beim Sacro-Pop-Festival "Unkraut Leben" in der Frankfurter Peterskirche 23. Mai 1979 Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Martin Jürges beim Sacro-Pop-Festival „Unkraut Leben“ in der Frankfurter Peterskirche 23. Mai 1979
Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Veröffentlicht unter Bilder/Filme | Schreib einen Kommentar

Eimuth/Jürges, Die sogenannten Jugendreligionen – Erfahrungen aus der Beratungsarbeit

 Kurt-Helmuth Eimuth/Martin Jürgesi

Die sogenannten »Neuen Jugendreligionen«
Erfahrungen und Reflexionenaus der konkreten Beratungs- und Aufklärungsarbeit

Anfang des Jahres 1975 riefen besorgte Eltern im Ev. Stadtjugendpfarramt Frankfurt an,

um sich über eine ‚christliche Wohngemeinschaft‘ zu informieren. Es stellte sich heraus,

daß diese ‚Wohngemeinschaft‘ eine ‚Kolonie‘ der ‚Kinder Gottes‘ war. Wir nahmen

dieses Problem auf und druckten im Mai 75 eine Kurzinformation im ‚WIR-Heft‘, dem

Mitteilungsblatt der ev. und kath. Jugend, ab, um unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter

auf dieses Problem aufmerksam zu machen.

Da nach unseren Beobachtungen die neuen Jugendreligionen sehr massiv in den Fußgängerpassagen

der Frankfurter Innenstadt warben, verteilten wir 1976 ein Faltblatt

zur Aufklärung. Dabei informierten wir über folgende Gruppierungen: Die ‚Vereinigungskirche

des Koreaners Mun, die ‚Kinder Gottes‘, die sich jetzt ‚Familie der Liebe‘

nennen, die ‚Hare-Krishna-Gesellschaft‘, die ‚Scientology-Organisation‘ des ehemaligen

Science-Fiction-Autors L. Ron Hubbard und die ‚Divine Light Mission‘ des Guru

Maharaj Ji.

Diese Aktion entwickelte schnell die voraussehbare Eigendynamik. Je mehr informiert

wurde, desto mehr Anfragen von Eltern und Jugendlichen erreichten uns. Denn

erst jetzt wurde ihnen die Problematik deutlich.

Der Beitritt des Jugendlichen X zu einer ‚Jugendreligion:ii

Der Jugendliche X wurde auf der Straße mit den Fragen »Fühlst Du Dich glücklich?«

und »Glaubst Du an Gott?« angesprochen. Er wußte auf diese existenziellen Fragen keine

Antwort. Er blieb erst einmal stehen und wurde in ein missionarisches Gespräch

verwickelt.

In diesem Moment umwickelt eine gut einstudierte ‚Umarmungs-Maschinerie‘ den

zweifelnden Jugendlichen. Das Motto der Mission lautet: Es ist alles ganz einfach!

Zitat aus einem Brief eines Kind Gottes: »So lernte ich Jesus durch ein kleines Gebet

kennen. Seitdem erkannte ich immer mehr die wahren Hintergründe für unsere derzeitige

weltpolitische Situation und eine Lösung für ein besseres Zusammenleben?«

Der Jugendliche X wird in das Zentrum der ‚Christlichen Vereinigung‘ eingeladen. Da

der Jugendliche X gerade nichts Besseres zu tun hat, geht er mit. Das Zentrum wirkt

auf ihn ’nett‘. Andere Gruppenmitglieder reden ebenfalls mit ihm. Dabei wird der Jugendliche

X mit der verblüffenden Offenbarung konfrontiert, daß Gott ihm jetzt, in

diesem Moment, die einmalige Chance biete, zu helfen, das Glück der gesamten

Menschheit herbeizuführen. Durch diesen und nur durch diesen Weg könne er zu Gott

finden. Selbstverständlich verlange Gott den ganzen Menschen für sein Vorhaben. Man

könne sich nicht halb für Gott entscheiden.

Der Jugendliche X solle sich dies einmal durch den Kopf gehen lassen. Selbstverständli ch

hätte er jetzt noch Fragen, aber diese seien auf die Schnelle nicht zu beantworten.

Es gebe allerdings die Möglichkeit, kostenlos an einem Wochenende die >göttlichen

Prinzipien« zu studieren. Hierzu sei er recht herzlich i n i h r Trainingszentrum eingeladen.

Der Jugendliche X ist zweifelnd aber doch fasziniert. E r beschließt das nächste Wochenende

im Trainingszentrum zu verbringen. Dort werden Vorträge gehalten, Lieder gesungen

und Spaziergänge gemacht. Der Jugendliche X fühlt sich wohl. Er ist an diesem

Wochenende nicht allein. Der Jugendliche X ist ebenso wie die anderen Kursteilnehmer

begeistert. Er unterhält sich mit ihnen und spürt, daß diese schon regelrecht von

dem neuen Gedanken erfaßt sind. Der Jugendliche X weiß nicht, daß diese anderen

Kursteilnehmer zum Teil schon langjährige Mitglieder der Gruppe sind. U m ebenso

‚mitreden‘ zu können, meldet sich der Jugendliche X für einen Wochenkurs an gleicher

Stelle an. Die Konsequenzen dieser Sache sind dem Jugendlichen X nicht klar.

Der Jugendliche X fährt mit großen Erwartungen wieder i n das Trainingszentrum.

Dort w i r d er genauso nett begrüßt. Der Tagesablauf sieht folgendermaßen aus:

7.30 Uhr Aufstehen

7.40 Uhr Frühsport

8.00 Uhr Waschen und Anziehen

8.30 Uhr Frühstück

10.00 Uhr Vortrag

12.00 Uhr Pause

12.30 Uhr Vortrag

14.00 Uhr Mittagessen

Nach dem Mittagessen geht der Jugendliche X entweder m i t der Gruppe spazieren, betreibt

Sport oder liest noch einmal das besprochene Thema i n den ‚Göttlichen Prinzipien‘

nach.

17.00 Uhr Vortrag

18.30 Uhr Pause

18.50 Uhr Vortrag

20.00 Uhr Abendessen

Nach dem Abendessen sitzt der Jugendliche X entweder mit anderen so zusammen, um

mit ihnen zu spielen oder über die besprochenen ‚Prinzipien‘ zu reden. Der Jugendliche

X ist nie alleine oder gelangweilt, da alles gut vorgeplant ist.

Der Jugendliche X wird mit einer geschlossenen, in sich logischen ‚Lehre‘ konfrontiert,

die die Lösung aller Probleme verspricht, da in naher Zukunft das Paradies errichtet

würde.

Der Jugendliche X begreift, daß er die Verantwortung für seine ‚Familie‘ (so bezeichnet

sich die Gruppe) übernehmen muß. Es geht i hm um das Seelenheil von 3,5 M i l l i a r den

Menschen. Er muß sein Leben sofort und radikal ändern.

Der Jugendliche X verkauft deshalb seine Stereoanlage, hebt sein Geld vom Sparkonto

ab und exmatrikuliert sich. Er bittet seine Eltern, zu versuchen, i h n zu verstehen: am

besten wäre es, sie würden selbst ebenso handeln. Der Jugendliche X fährt i n das deutsche

Hauptquartier der Gruppe, übergibt dort seinen Besitz und überläßt seinen Wagen

dem Wagenpark der Gruppe.

Nach drei Monaten erfahren die Eltern und Freunde, daß sich i h r Sohn bzw. Freund

seit zwei Wochen am Golf von Mexiko befindet. Der Jugendliche X t e i l t m i t , daß er für

die gemeinsame Sache beim Schiffsbau helfen würde. Der Jugendliche X beteuert noch

einmal, er habe dies alles f r e i w i l l i g getan und zum ersten Mal i n seinem Leben habe er

das Gefühl frei zu sein.

Zwei Jahre später w i r d der Jugendliche X i n eine deutsche Nervenklinik eingeliefert.

Das Phänomen der erzwungenen Freiwilligkeit*).

Eine — oberflächlich betrachtet — konsequente und einleuchtende Ideologie prasselte

auf den Jugendlichen hernieder. Hinzu kam eine Atmosphäre der Geborgenheit, des

netten Miteinanders, die man in Schule und Betrieb nicht findet. Der Jugendliche wurde

so hat es den Anschein — um- und versorgt. Die Gemeinschaft ist sich einig. Daß

jedes abweichende Verhalten sofort durch Liebesentzug sanktioniert wird, ist dem

‚Opfer‘ nicht deutlich. Ehemalige berichten, daß die Äußerung einer Frage, durch peinliches

Schweigen, durch ernste und starre Blicke und ‚Für-Bitte-Gebet‘ sanktioniert

wird.

Der Jugendliche, der sich einer ‚Jugendreligion‘ jenes oben beschriebenen Typs angeschlossen

hat, gibt sich auf, lebt nur nach Sektennorm und bekommt hierfür sehr viel

Lob und Anerkennung. Jede kleine Abweichung von dieser Norm wird jedoch sofort

bestraft.

Dieser Mechanismus kommt dem von Thomas Ziehe beschriebenen ‚Neuen Sozialisationstypus‘

entgegen, dessen wesentlicher Konflikt sich von der Ich-Überich-

Beziehung auf eine Ich-Ichideal-Beziehung verschoben hat. Der in unserer Gesellschaft

materiell versorgte und mit überzogenen Erwartungshaltungen vollgestopfte Jugendliche

baut sich ein Ichideal auf, das einen Vergleich mit dem realen Ich nicht standhält.

In diesen Gruppen gibt der Jugendliche sein Ich weitgehend zugunsten des kollektiven

Gruppenichs auf. Dies ist durch die systematische Ausschaltung der kritischen Intelligenz

möglich geworden, da so alle gruppenkonformen Handlungen als Entscheidung

des ‚freien Willens‘ empfunden werden. Durch die Teilhabe am Gruppenideal fühlt sich

der Jugendliche gestreichelt und bestätigt, denn er ist dem früher unerreichbaren Ichideal

nahe.

Jetzt handelt der Jugendliche aus ‚freiem Willen‘ und ‚eigener Erfahrung‘ nur noch im

Gruppensinne.

Vor diesem Hintergrund muß das Phänomen der ‚erzwungenen Freiwilligkeit‘, welche

in der Literatur (1) als »Seelenwäsche« bezeichnet wird, gesehen werden. Als »Seelenwäsche

« wird ein Verfahren zur Ausschaltung der kritischen Intelligenz bezeichnet,

das am Betroffenen — im Gegensatz zur Gehirnwäsche — mit dessen unterschwelligem

Einverständnis durchgeführt wird.

Friedrich Hacker beschreibt dieses ’neue‘ Problem so: »Heute können Menschen gezwungen

oder manipuliert werden, daß, was sie gemäß dem Willen ihrer Manipulateure

und Zwingherren tun und unterlassen müssen, scheinbar freiwillig zu tun und zu unterlassen.

Denn nicht nur äußeres Verhalten und innere Gedanken und Gefühle sind

steuerungsfähig, sondern vor allem auch der in der intimen Persönlichkeitsphäre angesiedelte

freie Wille, das Erlebnis der Freiwilligkeit. Durch die totale Kontrolle einer

totalen Institution kann auch der normale Erwachsene — zurückgeworfen auf ein frühkindliches

Stadium äußerster Hilflosigkeit, nunmehr dem Kleinkind gleich, zu dem er

reduziert wurde — erzogen, umerzogen, dressiert, trainiert und indoktriniert werden.

Aus dieser meist nur allzu erfolgreichen ‚Erziehungsperiode‘ geht ein gänzlich veränderter

’neuer‘ Mensch hervor, jemand, der glaubt und glauben muß, daß er frei wählt

und w i l l , was ihm tyrannisch eingegeben und eingeimpft wurde. Freiheit, die sie meinen

und bewilligen und auferlegen, wird dann zur einzigen, die es gibt und die es geben

darf.« (2)

Ein ’normaler Fall‘ aus der Praxis:

Brigitte, 18 Jahre, wohnte seit etwa einem Jahr in einem Schwesternwohnheim. Sie

war von einem kleinen Dort in die Großstadt gekommen, um Krankenschwester zu

werden. Wie in den späteren Gesprächen deutlich wurde, hatte sie eine starke — aber

diffuse — soziale Motivation. Sie sagte: »Ich wollte helfen.«iii

Der autoritär strukturierte Krankenhausbetrieb machte i h r emotional zu schaffen:

»Wenn du 5 Min. m i t einem Patienten redest, wirst du angeschissen, da du zu lange

beim Bettenmachen brauchst.«

Der Schichtdienst, das kontakthemmende Wohnheim, i n dem Herrenbesuch verboten

ist, die Umklammerung durch das Elternhaus mit der Erwartung, daß die Tochter an

jedem freien Wochenende nach Hause kommt, und die als obenflächlich empfundenen

Bekanntschaften, verstärkten das Gefühl der Einsamkeit.

B r i g i t t e wurde donnerstags von den ‚Kindern Gottes‘ i n einer Fußgängerpassage angesprochen.

Freitags traf sie sich wieder m i t ihnen, und verteilte bereits Mo-Briefe. (Der

versteckt lebende Gründer der ‚Kinder Gottes‘, Mose David (Mo), d i r i g i e r t mittels dieser

Traktate seine Organisation).

B r i g i t t e fuhr zusammen mit den beiden i h r bekannten Missionaren i n das Zentrum der

Gruppe (‚Kolonie‘), um sich dort umzusehen. Sie fühlte sich sofort wohl i n der Gruppe.

I n einem späteren Interview drückt sie es so aus:

»Ich habe mich da zu Hause gefühlt.«

Sie bleibt bis Montag bei der Gruppe. Sonntags hat sie aber schon die sogenannten ‚Mo-

Regeln‘ unterschrieben. Diese sogenannten Regeln fordern absoluten Gehorsam, Besitzlosigkeit

und Einsatz für die ‚revolutionäre‘ Sache. Dies geht so weit, daß die Gruppe

den Aufenthaltsort bestimmt. Gemäß diesen Regeln, kündigte sie ihre Arbeitsstelle

und hob alles Geld von i h r em Sparkonto ab.

Der Arbeitgeber informierte die Eltern. Brigittes Bruder sprach am Montagabend mit

seiner Schwester. B r i g i t t e im I n t e r v i ew über dieses Gespräch: »Es ist irgendwie an m i r

vorbeigeflogen, was mein Bruder m i t m i r geredet hat. Ich weiß nicht mehr, was ich geantwortet

habe, das kann ich nicht mehr sagen. Ich habe das vergessen. Ich hatte einfach

das Gefühl, mit deinem Bruder hast du kein Wort mehr zu reden. Ich habe mich

überhaupt nicht mehr zu i hm hingezogen gefühlt, obwohl w i r früher ein sehr gutes Verhältnis

hatten.«

Brigittes Bruder bemühte sich um Information und gelangte so an unser Amt. Er konnte

B r i g i t t e dazu bewegen, zu uns zu kommen. I n diesem ersten Gespräch — welches

mehr ein Wunsch des Bruders als Brigittes eigener Wunsch war — war es zunächst einmal

wichtig, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, da die K l i e n t i n für eine rationale

Argumentation zunächst nicht zugänglich war. Diese kann erst nach Herstellung

einer emotionalen Bindung erfolgen.

An dieser Stelle wurde deutlich, i n welch schwierige Situation sich der Berater begibt

Die K l i e n t i n stellt unbewußt die ‚ A t t r a k t i v i t ä t ‚ des Beraters der der Gruppe gegenüber.

So äußerte B r i g i t t e im Interview: »Ich habe das Gefühl, ich soll da h i n (zu den K i dern

Gottes) gehen, aber ich darf nicht!«

Auf die Frage, warum sie denn Angst habe, noch einmal ‚dahin zu gehen‘, antwortete

sie: »Die Gruppe kann so gut reden, dann folgt man da einfach.«

Dann folgt man einfach. B r i g i t t e gelang es m i t H i l f e kontinuierlicher Gespräche, diesen

Zwiespalt tendenziell zu bearbeiten.

Die Problematik der Einschätzung des Symptoms ‚Jugendreligionen‘ durch die Öffentlichkeit

Staatssekretär Wolters vom Bundesfamilienministerium sprach auf der Pressekonfernez

(Juli 78) von 150 000 sektengeschädigten Jugendlichen in der Bundesrepublik. Dies

ist eine Zahl für die Schlagzeilen. Fachleute schätzen, daß die ‚Vereinigungskirche‘ bei

i n etwa stagnierende Mitgliederzahl 500 Anhänger, die Kinder Gottes max. 150 und die

Krishna-Bewegung höchstens 100 Mitglieder haben. Die Zahl der Anhänger der Divine

Light Mission ist schlecht schätzbar, jedoch werden auch sie nicht über 500 Anhänger

haben.

All diese genannten Gruppen sind darauf bedacht, ihre wahre Mitgliederstärke nicht

zu nennen. Im Gegensatz hierzu setzen die ‚Scientology-Church‘ und die Bewegung der

„Transzentendalen Meditation‘ ihre Mitgliederzahlen zu Werbezwecken ein. So gibt es

nach eigenen Angaben der ‚Scientology-Church‘ 30 bis 60 000 und der ‚Transzentendalen

Meditation‘ ca. 75 000 Mitglieder. Jedoch muß bedacht werden, daß jeder Kursteilnehmer

als Mitglied gezählt wird. Vermutlich gibt es dabei auch Doppelzählungen.

Die so relativierte Zahl der Jugendreligionangehörigen erscheint klein. Wichtiger als

die Mitgliederzahlen sind uns die Zahl der hilfebedürftigen Ex-Mitglieder. Über diesen

Sachverhalt gibt es kaum Unterlagen. Als Beispiel kann eine Zahl aus dem Jahre 1977

einen Eindruck vermitteln. In diesem Zeitraum sind 49 Personen — nach unseren Informationen

aus der Vereinigungskirche ausgetreten. Kennt man die zerstörenden Auswirkungen

der Jugendreligionen, die in Amerika ‚Destructive cults‘ genannt werden,

so wird das Ausmaß der gesellschaftlichen Bedeutung dieses Phänomens deutlich. Es

ist zu vermuten, daß alleine im Einzugsbereich der Vereinigungskirche innerhalb eines

Jahres 49 Personen schwere psychische Veränderungen erlebten, die sie ohne fremde

Hilfe kaum bewältigen können. Einige von ihnen sind inzwischen in Nervenheilanstalten.

Hinzu kommen Familienangehörige und Freunde, die diese Konflikte mit durchleben

und tragen.

Bisher wurden die Kosten für die Rehabilitation noch nicht erfaßt, wohl auch, weil sie

zum großen Teil von den Eltern aufgebracht werden, da viele Anhänger weder rentennoch

krankenversichert sind.

Die sogenannten ‚Jugendreligionen‘ sprechen vorrangig Mittelschichtsjugendliche an.

Dies geht auch aus einer Information eines ehemaligen Mitglieds der Vereinigungskirche

hervor:

»Es war mir ebenfalls möglich, eine Liste einzusehen, in der auch die Berufe der einzelnen

angegeben waren. Interessant war daran festzustellen, daß 60 bis 70 % der männlichen

Mitglieder Studenten waren oder sind, die meisten haben ihr Studium abgebrochen.

Bei den weiblichen Mitgliedern sind ungefähr 70 bis 80 % Krankenschwestern

(oder ähnliches), die Hälfte davon mit Abschluß.« Die Vermutung, daß die Eltern dieser

Kinder sich besser artikulieren können, liegt nahe und kann von uns bestätigt werden.

So entstanden in Deutschland 4 Elterninitiativen gegen die sogenannten ‚Jugendreligionen‘,

die seit etwa 3 Jahren die Öffentlichkeit auf diese Problematik aufmerksam

machen.

Im Feb. 78 kam auf Grund des öffentlichen Druckes eine Fachtagung der ‚Bundeskonferenz

für Erziehungsberatung e.V.‘ in Hannover zustande. Dort zeigte sich deutlich,

daß die deutschen Psychologen und Psychiater noch nicht den amerikanischen Diskussionsstand

erreicht haben. Jedoch wurden diese nicht zuletzt durch ein Referat von

John Clark für diese Problematik sensibilisiert (3). Auch die erste ausführliche ‚Fallsammlung‘

der Bonner ‚Aktion für geistige und psychische Freiheit — Zusammenschluß

der Elterninitiativen‘ trug hierzu bei. Diese Fallsammlung steht für wissenschaftliche

Zwecke zur Verfügung (4).

Trotz all dieser öffentlichen Reaktionen stehen die Politiker dem Phänomen der „erzwungenen

Freiwilligkeit‘ hilflos gegenüber. Es bleibt ihnen nur, sich auf Verstöße gegen

die Steuergesetze, die Gemeinnützigkeit und die Sammelgesetze zu konzentrieren.

Eine ‚Sondergesetzgebung‘ steht nicht zur Debatte. Selbst die Elterninitiativen distanzieren

sich von einer solchen Forderung.

Auch in Frankfurt hat sich eine Elterninitiative gebildet, die an die Münchener angelehnt

ist. Ziel ist es, den Eltern aufzuzeigen, daß sie nicht alleine unter den Einwirkungen

der ‚Jugendreligionen‘ auf ihre Familie leiden. Erfahrungsgemäß hat es für die Eltern

eine befreiende Wirkung mit anderen über ihr Leid zu reden. Dies ist umso wichtiger,

solange diebreite Öffentlichkeit (insbesondere Nachbarn, Freunde) kein Verständnis

zeigen. Die Ängste der betroffenen Eltern sind so groß, daß sie z.B. bei Zusendung

von Informationen um weiße Briefumschläge bitten, »damit auch ja nichts bekannt

wird.«

Die Bearbeitung der familiären gesellschaftlichen Ursachen für die Flucht der Kinder

aus dem Elternhaus kann jedoch in den Elterninitiativen nur ansatzweise geleistet

werden.

Erfahrungen aus konkreter Beratungsarbeit

Jedem, der sich mit den sogenannten Jugendreligionen beschäftigt, kann es passieren,

daß plötzlich ein Ratsuchender vor i hm steht. Die folgenden Überlegungen werden

wohl niemanden zum Berater qualifizieren. Jedoch ist beabsichtigt, die Schwierigkeit

einer Beratungstätigkeit auf einem solch spezifischen Gebiet transparent zu machen

und die psychische Belastung der Berater zu beschreiben.

Beratung, als Hilfe zur Selbsthilfe, als Wiederspiegelung der Wünsche und Bedürfnisse

des Klienten reicht beim Problemfeld der sogenannten »Jugendreligionen« nicht aus.

Hier muß der Beratungsbegriff weiter gefaßt werden. Beratung beinhaltet i n diesem

Fall auch Information.

Zunächst läßt sich der Kreis der Ratsuchenden in vier Gruppen aufteilen:

1. Betroffene Eltern mit ablehnender Haltung gegenüber den ‚Jugendreligionen‘.

2. Jugendliche mit Kontakten zu einer der ‚Jugendreligionsgruppen‘.

3. Jugendliche die bereits Gruppenmitglieder sind.

4. Jugendliche die Gruppenmitglieder waren.

1. Betroffene Eltern mit ablehnender Haltung:

I n oft sehr langen Gesprächen (5 bis 6 Stunden sind keine Seltenheit) besteht die Gefahr,

daß sich die äußerst negative Einschätzung und die aggressive Haltung der Eltern

auf den Berater überträgt. Es geschieht durch das Miterleben des konkreten Leidens

der Eltern. Der Berater sollte trotzdem die nötige Distanz beibehalten.

Dies w i r d jedoch durch den Wunsch der Eltern nicht nur Informationen zu bekommen,

sondern auch konkrete Hilfe für ihre Kinde zu erlangen, z.B. i h r K i n d m i t Gewalt aus

einer der Gruppen zu holen, erschwert.

Mit diesem elterlichen Wunsch kann man auf dreifache A r t und Weise umgehen:

Dem Wunsch der Eltern, der Berater solle doch »mal hingehen und i h r K i n d herausholen

«, ist auf alle Fälle zu widersprechen. Der Berater sollte sich allerdings darüber im

Klaren sein, daß er (überzogene) Erwartungen der Eltern nicht erfüllt, was im

schlimmsten Falle dazu führen kann, daß die Eltern alleine eine (gewaltsame) A k t i on

durchführen, die i n fast allen Fällen scheitern muß.

Es besteht die Möglichkeit, mit den Eltern gemeinsam eine A k t i o n durchzuführen. Es

w i r d auf alle Fälle den Berater zeitlich und psychisch stark i n Anspruch nehmen. (Betont

werden muß wohl nicht, daß diese A k t i o n nur gewaltfrei durchgeführt werden

kann).

Trotz der klaren Absage an die Gewalt, w i r d der Berater sich ständig fragen — ja fragen

müssen — ob es r i c h t ig ist, einen Jugendlichen, der glaubt den Weg zu Gott gegangen

zu sein, von diesem wieder abzubringen. Das Problem: Ist die Hinwendung zur einer

‚Jugendreligion‘ die Äußerung eines freien Willens, einer durchdachten Entscheidung

oder handelt es sich um »erzwungene Freiwilligkeit«?

Es ist leicht nachzuempfinden, daß hier jeder Berater i n ein Spannungsfeld gerät, in

dem er nie die Orientierung verlieren sollte.

Theoretisch bleibt als d r i t t e Möglichkeit, den Eltern abzuraten, ihr K i n d aus einer dieser

Gruppen herauszuholen. Dies kann i n Fällen angezeigt sein, i n denen man von einer

starken Verunsicherung der psychischen Gesamtkonstitution ausgehen muß. Hier

kann es sinnvoller sein, sich für eine bestimmte Zeit auf die Rolle des Beobachters zu

beschränken.

2. Jugendliche mit Kontakten zu einer der »Jugendreligionen«

Bei diesen Jugendlichen muß zunächst versucht werden, Beweggründe für die Sympathie

mit dieser oder jener Gruppierung zu erkunden. Diese Gründe können i n einfacher

Neugierde oder i n der Unzufriedenheit mit der Amtskirche liegen. A m häufigsten sind

hier jedoch psychologische Gründe (z.B. unbewußte sexuelle Neugierde, Suche nach einem

Vater und Partnerkonflikte) ausschlaggebend.

Einem solchen Jugendlichen muß Hilfestellung zur Findung einer Lebensalternative

gewährt werden. Dieser Weg ist auf alle Fälle mit dem Jugendlichen gemeinsam zu erarbeiten.

3. Jugendliche die bereits Gruppenmitglieder sind:

I n diesen Gesprächen liegt für den unerfahrenen Berater eine besondere Gefahr. Immer

dann, wenn der Berater das Gefühl hat, es war eine besonders qualifizierte Disskussion,

wurde am wenigsten erreicht. Dies komm daher, daß z.B. die Vereinigungskirche

voraussagt, daß i n scharfer und spitzer Argumentation das Satanische im Gegenüber

erkennbar sei.

Bei solchen Gesprächen ist es viel wichtiger, den emotionalen Bereich anzusprechen.

Atmosphäre und nonverbale Signale können die anfängliche Skepsis der Jugendlichen

beseitigen. Erschwert w i r d jedoch die Aufgabe des Beraters, wenn der Jugendliche auf

Druck der Eltern zu i hm gekommen ist. Aber selbst i n dieser Situation sollte versucht

werden, eine individuelle Basis des Vertrauens zu schaffen.

4. Jugendliche die Gruppenmitglieder waren:

Bei diesen Gesprächen wird der Berater — besonders wenn auch er ein kritisches Verständnis

zur Gesellschaft hat — stark gefordert. Denn welche Alternativen kann der

Berater anbieten?

Der Berater fühlt sich oft hilflos, wenn der Jugendliche ihm erklärt, daß die Eltern

froh sind, da alles wieder so werden solle wie früher. Alles solle in »geordneten Bahnen

« verlaufen.

Ansätze alternativen Lebens könnten z. B. christliche Wohngemeinschaften wie die

‚Offensive junger Christen‘ in Bensheim oder wie Wohngruppe von Frau Mamay in Altenberg

darstellen. Bedacht werden muß jedoch, daß auch eine solche Wohngruppe eine

Flucht vor der Realität darstellen kann, welches für uns nicht das Ziel der Jugendarbeit

ist.

Anzumerken ist noch, daß in Deutschland — soweit uns bekannt ist — niemand ein Verfahren

des Deprogrammingiv befürwortet. Von einigen der sogenannten »Jugendreligionen« wird jedoch

dieser Eindruck erweckt.

Gesellschaftliche Hintergründe?

Beim Umgang mit dem Problem ‚Jugendreligionen‘ verloren w i r die Frage nach den

Ursachen für diese Art der Flucht Jugendlicher aus dem gegenwärtigen Alltagsleben

nicht aus den Augen. Schließlich ist das gesamte Problem nur ein Symptom unter vie-

len anderen, nur eine der Spitzen eines Eisberges mit Dreitem Sockel. Parallele Symptome

sind u.a. die ansteigende Selbstmordneigung bei Jugendlichen, ständig zunehmender

Tabletten- und Alkoholkonsum, starke Neigungen zu radikalen Gruppen, die

eine grundsätzliche Veränderung der Verhältnisse versprechen. Der Sockel dieses Eisberges,

die Ursachen für diese Symptome lassen sich nicht leicht auf eine Formel bringen.

Nach unseren Beobachtungen spielen folgende Erfahrungen Jugendlicher dabei eine

entscheidende Rolle (vgl. Mat. 3 in Kap. 4.5.):

Sinn

Die »moderne« Gesellschaft ist zu einem undurchschaubaren, von sogenannten »Sachzwängen

« beherrschten System geworden.

Besonders innerhalb der Jugend herrscht das Gefühl einer allgemeinen inneren und äußeren

Orientierungslosigkeit vor. In dieses Situation macht sich ein intensives Suchen

nach der Sinnhaftigkeit und Ganzheit menschlicher Existenz breit.

Zukunft

Ausbildung (Schule, Lehre, Studium) — und damit ein wesentlicher Teil ihres Lebens

erscheint vielen Jugendlichen wegen der schlechten Zukunftsperspektiven sinnlos:

»Warum soll ich mich anstrengen, wenn ich das, was ich hinterher tun möchte, sowieso

nicht tun kann?«

Die jungen Leute müssen heute »untergebracht« werden. Um überhaupt einen

Ausbildungs- oder Arbeitsplatz in der Zukunftsgesellschaft zu ergattern, sind sie einem

starken Leistungs- und Konkurrenzdruck unterworfen. Damit wird Gruppengefühl

unterbunden, soziales Verhalten aberzogen, Rücksicht auf Schwächere nicht mehr

gelernt — Aggressionen und gegenseitige Brutalität nehmen zu.

Familie

Ein großer Teil der Eltern leiden heute unter ihrer eigenen Existenzangst im Blick auf

ihre berufliche Zukunft. Diese Ängste werden häufig mit überzogenen Leistungsanforderungen

an die Kinder und Jugendlichen weitergegeben: »Ihr sollt es ja einmal besser

haben.« Viele Jugendliche erfahren in ihrer Familien, in den menschlichen Krisen und

Zerrüttungen ihres Elternhauses, die Wahrheit der biblischen Alternative: »Ihr könnt

nicht Gott dienen und dem Mammon!«, und sie entscheiden sich gegen den Mammonsdienst

ihrer Eltern. Dem Bruch mit dem Elternhaus entspricht oft der Bruch mit der

Kirche bzw. der christlichen Tradition. Die Kirche wird vielfach — wie Elternhaus und

Schule — als autoritäre Instutition empfunden.

Schule

Die Schule hat weithin durch den Ausfall von Leitbildern ihre Erziehungs- und Bildungsaufgabe

preisgegeben und sich auf Information und Vermittlung meist interlektueller

Fertigkeiten zurückgezogen. Das Wissen und Können der Schüler sollen erweitert,

bereichert und vertieft werden, nicht aber ihr Empfinden, ihre Emotionalität und

ihre innere Erlebniswelt.

Staat

Viele junge Menschen stehen dem Staat und seinen Einrichtungen kritisch gegenüber.

Immer mehr Jugendliche (und auch Erwachsene) wenden sich vom Selbstverständnis

der jetzigen Zivilisation ab. Die »Krise der industriellen Gesellschaft« mit all ihren

sichtbaren Ersheinungen (Energieproblem, Umweltproblem, Arbeitslosigkeit, Primat

der Wissenschaft gegenüber Politik und Individuum etc.) hat zu einer Erschütterung

des Fortschrittsglaubens geführt.

Jenes Vertrauen in den wirtschaftlichen und technologischen Fortschritt war die »Religion

« der letzten Generation.

Verbindlichkeit

Mit der Verdichtung der Ballungszentren, der zunehmenden Kompliziertheit von Gesellschaft,

dem zunehmenden Konkurrenz- und Leistungsdruck an Arbeitsplatz und

Schule etc., der »Krise« der Familie ist die Fähigkeit persönliche Verbindlichkeiten

einzugehen, gesunken. Die Fähigkeit Vertrauen zu entwickeln, Zuwendung und Liebe

zu üben, ist auf den engsten persönlichen Bereich beschränkt.

Demgegenüber wächst die Sehnsucht nach echter Gemeinschaft, einer Gemeinschaft

der ähnlich Denkenden, Fühlenden und Glaubenden, der gleichermaßen Engagierten

oder auch Verzichtleistenden.

Hinter der Suche nach Geborgenheit i n der Gruppe verbirgt sich oft die verständliche

Angst des jungen Menschen, sich nun allein i n den verwirrenden sozialen Bezügen unserer

komplexen Gesellschaft zurechtfinden zu müssen.

I n dieser Situation haben a l l jene Gruppen — seien sie politisch oder religiös motiviert

eine Chance, die Radikallösungen anbieten. Mit dem Satz: »Es muß alles anders werden«

w i r d eine bei vielen vorhandene Stimmung aufgegriffen. Für viele braucht dann kaum

noch deutlich gesagt zu werden, wie es denn anders gemacht werden soll; allein der

Vorsatz, es radikal anders machen zu wollen, genügt. I n diesem Zusammenhang sind

die Jugendreligionen i n der Reihe vieler anderer Versuche zu sehen, aus dem gesamten

System auszubrechen. Der regressive Rückzug in die Individualitä t ist ebenso

eine Parallelerscheinung wie der Ausbruch i n radikale, politische Gruppierungen auf der

rechten oder auf der linken Seite. Hier wie dort ist die Triebfeder die — oft berechtigte

Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation. Und dennoch kann es sich hier

wie dort um eine Flucht aus der Gegenwart handeln, eine Flucht, die die Gegenwart

nicht verändert, sondern sie zu Gunsten eines endzeitlichen Weltbildes unverändert

läßt. Nachfolge Jesu ist das nicht — auch wenn die Jugendreligionsgruppen dies gelegentlich

behaupten. Jesus hat auch i n seiner Gegenwart gehandelt, hat Menschen und

Welt um sich herum verändert.

Wenn diese Analyse stimmt, wenn die Triebfeder des ‚Aussteigens‘ die Unzufriedenheit

ist, das Leiden an den Widersprüchen der Gesellschaft, das Leiden an der Spannung

zwischen dem, was geschehen muß und dem, was geschieht — dann kann auch das

Phänomen der Jugendreligionen Hoffnung machen: Der Erfolg der Jugendreligionen

wäre dann ein Zeichen dafür, daß die Unruhe der Jugend, das Leiden an der gegenwärtigen

Ungerechtigkeit nicht zu Ende ist. Er wäre ein Zeichen dafür, daß die Suche nach

der besseren Welt, die Suche nach mehr Gerechtigkeit, mehr Lebensqualität, mehr

Freiheit, nicht zur Ruhe gekommen ist. Aufgabe kirchlicher Jugendarbeit wäre es —

zusammen mit anderen Jugendverbänden und Organisationen — diese Unruhe i n Bahnen

zu lenken, die eine konstruktive Veränderung der Gegenwart in Richtung auf eine

bessere Welt zur Folge hätten. Dabei müssen die Bedürfnisse der Jugendlichen nach der

Beantwortung der Sinnfrage, nach Geborgenheit und Orientierung berücksichtigt werden.

Hier muß Nachfolge Jesu konkret werden.

Probleme und Grenzen der Arbeit:

Um auf das Problem ‚Jugendreligionen‘ aufmerksam zu machen und Jugendliche davon

abzuhalten, unkritisch einer solchen Gruppe beizutreten, informierten w i r in

Frankfurt durch F a l t b l ä t t e r u n d Presseinformationen. Diese »Negativ-Werbung« ist jedoch

zugleich Werbung f ü r die Gruppen. Deshalb muß die Information gezielt bei Multiplikatoren

ansetzen, damit diese ggf. vorbereitet dem Problem gegenüberstehen.

Ein Versuch, die Informationsarbeit über diese Gruppen mit einem alternativen Angebot

der Jugendarbeit zu verbinden, ist die »Arbeitsgemeinschaft«, die die Gruppen beobachtet

und analysiert. Diese Arbeitsgemeinschaft besteht aus ehrenamtlichen Mitarbeitern

der Ev. Jugendarbeit in Frankfurt. Gerade wegen des inhaltlichen Schwerpunktes

»Jugendreligionen« stellen die Jugendlichen selbst große Erwartungen an ihre

eigene Gruppe als Gemeinschaft (vgl. (5)). Grenzen sind jedoch auch einer solchen Gruppe

schon durch die Wohnsituation gesetzt. Nach unserer Meinung muß innerhalb der

Kirche neu nachgedacht werden über ‚christliche Wohngemeinschaften‘, um Jugendli-

chen einen Raum zur Entfaltung, zur Erfahrung und zum Experimentieren mit ihrem

Leben zu bieten.

Einen solchen Versuch, der auch die Rehabilitation von Ex-Mitgliedern der ‚Jugendreligionen‘

aufzeigt, stellen w i r zum Schluß vor.

Bedacht sein muß dabei, daß diese Arbeit unendlich schwer ist. So hat John Clark die

psychischen Auswirkungen nach einer drei bis sieben Jahre andauernden Sektenzugehörigkeit

als irreversibel diagnostiziert.

Das beschriebene Projekt i n Altenberg ist mehr eine Selbsthilfeeinrichtung, die mit

klinischen Fällen überfordert wäre. Hier sind der Staat und die Wohlfahrtverbände

aufgerufen, Konzeptionen zu entwickeln. E i n Forschungsauftrag, wie i h n die Universität

Tübingen vom Bundesfamilienministerium bekommen hat, kann ein Anfang sein,

denn das Sichten und Katalogisieren vorhandenen Materials ist wichtig aber sicherlich

nicht ausreichend.

Ein Versuch konkreter Hilfe

Bericht eines Besuches bei Inge Mamay (Ostern 1978):

Frau Mamay sprach vor ca. 3 Jahren i n Rom einen Mann an, der zufällig bei den K i n dern

Gottes war. Er brachte sie i n diese Gruppe. Sie fühlte sich sofort wohl und blieb

dort.

Als sie nach 14 Tagen ihre Mutter anrufen wollte, wurde ihr dies verboten. Sie rief

trotzdem an.

Ihre schwerkranke Mutter zeigte sich tief besorgt und wollte sogleich nach Rom kommen.

Da Konsequenzen für die Gesundheit der Mutter zu befürchten gewesen wären,

fuhr Inge Mamay nach Hause.

Dort angekommen, brauchte sie drei Monate, um Distanz von dem Erlebten zu gewinnen.

Bei ihrer Suche nach Hilfe gelangte sie an die Kath. Kirche.

Später genügte es i h r nicht mehr, daß ihr geholfen wurde, sondern sie wollte selbst

warnen und helfen. Bei der Suche nach einer Möglichkeit zur Hilfe, war schnell die

Idee einer Wohngemeinschaft geboren.

Ein Priester konnte gewonnen und ein leerstehendes Pfarrhaus umfunktioniert werden.

Nach Konzeption wurde nicht lange gefragt, denn man sah die Notwendigkeit und

Dringlichkeit, den Jugendlichen, die einer »Seelenwäsche« unterzogen worden waren,

eine Alternative zu bieten. Diese ehemaligen Gruppenmitglieder der verschiedenen

‚Jugendreligionen‘ konnten und können nicht sofort i n e in ’normales Leben‘, vor dem

sie j a gerade geflohen waren, zurückkehren. Zeitweise wohnten bei und mit Inge Mamay

8 junge Leute.

Jedoch ist der Aufenthalt i n Altenberg keine ‚endgültige Lösung‘, sondern soll nur den

Übergang i n das als unerträglich empfundene Leben ermöglichen.

Dort ist Raum und Zeit für die Distanzierung und Reflexion des Erlebten. Die Auseinandersetzung

mit religiösen und existenziellen Fragen (Sinn des Lebens) ist i n der

Gruppe wichtig. Zweimal i n der Woche finden Gesprächsstunden m i t Theologen statt.

Teilweise w i r d das Projekt von der Kath. Kirche unterstützt, jedoch muß jeder Aufgenommene

100,— DM monatlich für die gemeinsame Haushaltskasse aufbringen.

Beim Umzug auf ein größeres Gelände am Rande von Altenberg, i n m i t t e n eines Waldes

am Hang gelegen, wurde deshalb auch i n einem der drei zur Verfügung stehenden Fachwerkhäuser

eine kleine Kapelle eingerichtet. Diese Kapelle, die auch als Meditationsraum

genutzt w i r d , ist sehr kärglich m i t flachen Bänken, die aus Holzbrettern und

Backsteinen bestehen, sowie mit aus Konservedosen gearbeiteten Windlichtern und einem

an einer schweren Eisenkette hängenden Kreuz, versehen.

Dieser karge, kleine und doch sehr warmherzige Atmosphäre ausstrahlende Raum

scheint die Konzeption dieses ‚Konzeptionslosen Projekts‘ widerzuspiegeln.

Durch Verzicht auf alle überflüssigen Konsumgüter lernen sie, zu sich selbst zu finden,

auch zur eigenen religiösen Einstellung.

Ziel von Inge Mamay war es nicht, die Jugendlichen zurück zur Kath. Kirche zu bringen

dies war höchstens ein mit Wohlwonnen gesehener ‚Nebeneffekt.‘

In Altenberg wird sehr viel für den Ausbau der zum Teil zerfallenen Häuser getan. So

wurden Decken und Fußböden herausgerissen, ein Bad gebaut, eine Küche eingerichtet

und vieles andere mehr. Auch wird das zum Teil verwilderte Gelände in Stand gesetzt.

Literatur

(1) F.-W. Haack, Die neuen Jugendreligionen, München, Ev. Presseverband für Bayern;

(2) Friedrich Hacker, Freiheit die sie meinen, Hamburg 78, 9; (3) John Clark, in: Psychologie

Heute, Heft 3/78; (4) Fallsammlung der »Aktion für geistige und psychische Freiheit

«; (5) Ev. Landes Jugendinformation ‚Jugendreligionen‘, hrsg. vom Amt für Jugendarbeit,

Elisabethenstr. 51, 61 Darmstadt.

i aus: Kurt-Helmuth Eimuth/Manfred Oelke, Jugendreligionen und religiöse Subkultur, Frankfurt 1979, S. 145 ff

ii Der Fall X könnte etwa der Beitritt zur ‚Vereinigungskirche‘ oder zu den ‚Kinder Gottes‘ sein. Die anderen Gruppierungen

werben anders, wenngleich auch dort eine ‚Entmündigung‘ stattfindet. Deshalb sind die psychischen Folgen

für den Jugendlichen ähnlich.

iii Die folgenden Ausführungen machen wir nicht als Psychologen einer Beratungsstelle, sondern als Koordinationsstelle

und Impulsgeber der Ev. Jugendarbeit in Frankfurt, die (nebenbei) zur Anlaufstelle in Sachen Jugendreligionen

wurde. Eine besondere Qualifikation maßen wir uns nicht an.

iv Deprogramming ist ein Verfahren der Gehirnwäsche, welches von einigen amerikanischen Psychiatern angewandt

werden soll. Es w i r d auf eine »Seelenwäsche« (Soul-washing) mit einer Gehirnwäsche (braim-washing), die

eine totale Zerstörung der Persönlichkeit, des Ich’s voraussetzt, reagiert.

Veröffentlicht unter 1979 "Jugendreligionen" | Schreib einen Kommentar

Martin Jürges auf dem Römerberg

Martin Jürges auf dem Römerberg ca. 1979 Foto: Kurt-Helmuth

Martin Jürges auf dem Römerberg ca. 1979
Foto: Kurt-Helmuth

Veröffentlicht unter Allgemein | Schreib einen Kommentar

Martin Jürges über Eugen Eckert

781001 EF Martin Jürges über Eugen EckertEvangelisches Frankfurt

Veröffentlicht unter Texte von Irmtraud und Martin Jürges | Schreib einen Kommentar

Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers Martin Jürges

1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0001 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0002 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0003 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0004 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0005 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0006 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0007 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0008 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0009 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0010 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0011 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0012 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0013 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0014 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0015 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0016 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0017 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0018 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0019 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0020 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0021 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0022 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0023 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0024 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0025 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0026 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0027 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0028 1977 Jahresbericht des Stadtjugendpfarrers_0029

Veröffentlicht unter Jahresbericht 1977, Texte von Irmtraud und Martin Jürges | Schreib einen Kommentar

Jürges über die Rolle der Kirche

770627 Jürges_Rolle der kirche 770627 Jürges_Rolle der kirche_0001

Veröffentlicht unter Texte von Irmtraud und Martin Jürges | Schreib einen Kommentar

770601 EF Kirchentag Berlin

Veröffentlicht unter Allgemein | Verschlagwortet mit | Schreib einen Kommentar